In vielen afrikanischen Staaten leben die Menschen zwischen tief verwurzelten Traditionen und der Moderne. Für das neue Gebäude der Nationalversammlung in Benin beziehen sich die Architekten von Kéré auf eine alte afrikanische Tradition: Den Palaverbaum, unter dem sich das Dorf zur Besprechung einfand.
Benin an der Küste Westafrikas ist in den Strudeln der Weltgeschichte nicht so gebeutelt worden wie viele der mächtigen Nachbarn. Das frankophone Land hat es geschafft, in den vergangenen drei Jahrzehnten relativ reibungslos von einer sozialistischen Einparteienherrschaft zu einer Demokratie überzugehen. Die galt lange als mustergültig. Heute sind zwei Parteien an der Macht und stützen den aktuellen Präsidenten Patrice Talon.
Abhängigkeit vom Handel
Wirtschaftlich ist das Land mit seinen elf Millionen Einwohnern vom großen, westlich gelegenen Nigeria abhängig. Fast die Hälfte der Steuereinnahmen Benins sind Zölle. Der Hafen Cotonou macht Benin zum Transitland für Niger, Burkina Faso und Mali und zum größten Gebrauchtwagenmarkt Westafrikas. Mehr als zwei Drittel der Bevölkerung arbeiten in der Landwirtschaft, der zweiten Säule der Wirtschaft. Benin ist der größte Baumwollproduzent in Westafrika.
Demokratie und Identität
In diesem Kontext hat die Nationalversammlung beschlossen, ein neues Parlamentsgebäude in der Hauptstadt Porto Novo zu bauen. Das derzeitige Gebäude stammt aus der Kolonialzeit und platzt längst aus allen Nähten. Kéré Architecture in Berlin hat den Auftrag bekommen, eine neue Nationalversammlung zu entwerfen, die demokratische Werte und kulturelle Identität verknüpfen soll. Mit ihrem Entwurf greifen die Architekten eine afrikanische Tradition auf, die vor allem auf dem flachen Land noch Bestand hat: Der Entwurf ist inspiriert vom Palaver-Baum, unter dem sich Dorfbewohner treffen, um Entscheidungen zu fällen. Der Palaverbaum gilt als zeitloses Symbol, das von „früheren Generationen zeugt und Respekt vor den majestätischen Naturgewalten hervorruft“, so die Architekten in ihrer Projektbeschreibung.
Der Stamm bildet einen Innenhof, in dessen Krone befinden sich Büros
Die neue Nationalversammlung soll in einem großen, öffentlichen Park liegen, der den Bewohnern der Hauptstadt künftig als Erholungsraum dient. 35.000 Quadratmeter Fläche belegt das Vorhaben. Im Erdgeschoss finden der Versammlungssaal sowie sechs Konferenzräume und ein Restaurant Platz. Über dem Saal wölbt sich eine spektakuläre Decke mit dynamischen Strukturen, die an einen Baumstamm erinnern. In dessen Krone befinden sich Büros und Veranstaltungsräume. Der Stamm bildet zugleich einen Innenhof, der die anliegenden Räume natürlich belüftet und indirektes Licht einlässt. Eine tiefhängende Fassade nimmt dem starken Sonnenlicht die Schärfe. In der obersten Etage bietet eine Dachterrasse einen weiten Blick über die Stadt und die Lagune in der Ferne.
Schon im März 2021 sollen die Bauarbeiten beginnen, zwei Jahre später beendet sein. Umgerechnet knapp 40 Millionen Euro sind dafür vorgesehen.
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