Berlin wächst. Das ist Segen und Fluch zugleich. Denn bei immer noch angespannter Kassenlage ist die Hauptstadt nun gefordert, die Weichen für die Zukunft zu stellen. Ein Zusammenschluss von drei Hochschulen zeigt mit der Ausstellungstrilogie „Berlin 2050“ nun, wie das funktionieren kann. Senkrechtstarter sprach mit dem Berliner Architekten Bernd Albers, einem der Initiatoren der Ausstellung darüber, warum eine neue Debatte heute wichtiger denn je ist.
Senkrechtstarter: Herr Albers, der neue Senat hat sich auf die Fahnen geschrieben, endlich den Wohnraummangel in der Stadt zu beseitigen. Es wird wieder gebaut. Das müsste Sie als Architekt doch freuen.
Bernd Albers: So einfach ist das nicht. Derzeit macht der Senat seinen Wohnungsbaugesellschaften vor allem Vorgaben, was sie zu bauen haben: Wohnungen. So entsteht jedoch keine Stadt. Sondern Monokulturen, von denen es schon genug in der Stadt gibt.
Senkrechtstarter: Würden Sie das bitte erläutern?
Bernd Albers: Historisch gesehen ist das noch recht junge Berlin ja immer gewachsen. Nur zu Zeiten der deutschen Teilung war das etwas anders. Aber immer wieder gab es auch Pläne, welche dieses Wachstum gestaltet haben. Denken Sie nur an den Hobrecht-Plan, der im 19. Jahrhundert die infrastrukturelle Erschließung der Stadt durch große Ausfallstraßen und Ringe organisiert hat. Oder das Planwerk Innenstadt, das nach der Wende eine Neuordnung der Stadtmitte ins Auge gefasst hat. Heute geht es aber scheinbar nur um den Wohnungsbau. Die Stadt besteht aber nicht nur aus Wohnungen, sondern auch aus öffentlichen Bauten, Schulen, Krankenhäusern, Gewerbe und Wohnungsbauten unterschiedlicher Typologie und Struktur.
Senkrechtstarter: In der Ausstellung zeigen Studierende von drei Universitäten ihre Vision eines künftigen Berlins. Auffällig dabei ist, dass es sich um viele Standorte der „Zwischenstadt“ handelt, dort wo Industrie und Produktion auf Stadtquartiere treffen …
Bernd Albers: Auch, aber nicht nur. Zu den Besonderheiten Berlins gehört ja, dass es diese Trennung zwischen Produktion auf der einen Seite und Wohnen auf der anderen so eindeutig kaum gab. Nicht ohne Grund sind die innerstädtischen Quartiere, wo es diese strikte Trennung nicht gibt, bei den Menschen noch heute so beliebt. Arbeiten, wohnen, ausgehen – Orte, die all diese Qualitäten zugleich bieten, zählen nach wie vor zu den begehrtesten und auch teuersten Lagen der Stadt. Gebiete etwa wie der Westhafen oder Niederschöneweide könnten mit einer klugen Planung genau dahin geführt werden.
Monokulturen im städtischen Raum aufbrechen
Senkrechtstarter: Mit dem Planwerk Innenstadt haben Sie zum Beispiel für das Marx-Engels-Forum eine Blockrandbebauung auf kleinen Parzellen vorgeschlagen. So, wie die Altstadt früher bebaut war. Auch die Townhouses am Werderschen Markt gehen auf Sie zurück. Braucht die Stadt mehr kleinteilige Wohnbebauung?
Bernd Albers: Darauf kann ich keine pauschale Antwort geben. Am Werderschen Markt finde ich diese Typologie nach wie vor richtig, da nach dem Krieg das kleinteilige Wohnangebot aus der Innenstadt verdrängt wurde. Mir geht es eher darum, die vorherrschenden Monokulturen aufzubrechen und lebenswerte Kieze zu schaffen. Und die leben wiederum von der Durchmischung der Nutzungen und Typologien.
Senkrechtstarter: Gibt es denn auch Orte in der Stadt, die eine größere und höhere Bebauung vertragen?
Bernd Albers: Auch. Manchmal bietet es sich an, aus dem Bestand heraus zu planen. Manchmal muss man gerade etwas Neues wagen. Die Karl-Marx-Allee zwischen Strausberger Platz und Alexanderplatz ist so ein Ort. Zwischen den sozialistischen Bauten gibt es jede Menge Freiflächen, die als Landschaftsflächen deklariert sind, faktisch aber nur als Parkraum genutzt werden. Hier könnte ich mir sehr gut einzelne Hochhäuser als Ergänzung vorstellen. Und in der Ausstellung sieht man ja, dass hohe Häuser auch an anderer Stelle funktionieren. Zum Beispiel bei den Studentenentwürfen zum Westhafen. Einer erstklassigen Wasserlage, die, wenn sie denn einmal verfügbar wird, sehr viel attraktiven Raum für ein höchst urbanes Quartier bietet.
Notwendige Debatten endlich wieder anstoßen
Senkrechtstarter: Nach dem in den 1990er Jahren am Bedarf vorbei geplant wurde, hieß es lange Zeit: Wie dürfen nicht auf den Investor mit den vollen Taschen warten. Wir müssen auch kleine Brachflächen entdecken und entwickeln. Private Akteure wie Baugruppen und kleine Strukturen stärken.
Bernd Albers: Das Eine steht für mich nicht im Widerspruch zum Anderen. Die Baugruppen bauen ja, Baulücken verschwinden zunehmend aus dem Stadtbild. Und auch die Wirtschaft trägt ihren Teil dazu bei. Aber wir dürfen ihr nicht allein das Feld überlassen. Dort, wo eine politische Einmischung sinnvoll ist, muss der Senat seine hoheitliche Planungsautorität auch aktiver wahrnehmen. Sonst entstehen so seltsame Quartiere wie an der Oberspree. Dort hat gerade der Widerstand gegen die Mediaspree eine geordnete Stadtplanung verhindert. Jetzt toben sich die Investoren dort ziemlich unbehelligt aus. Deshalb müssen auch die großen Fragen angegangen werden, mit Augenmaß und mit Rücksicht auf den Bedarf. Aber es kann nicht sein, dass immer nur die Partikularinteressen von Autofahrern, Bürgerinitiativen oder Laubenpiepern im Fokus stehen. Wir müssen wieder gemeinsam eine Idee von Stadt entwickeln, die sich nicht allein vom Wohnraum-Markt treiben lässt. In diesem Sinne verstehen wir die Ausstellung als einen Beitrag, der eine notwendige Debatte wieder in Schwung bringen soll.
Infos zur Ausstellung
Am heutigen Montag um 19 Uhr findet das erste Symposium im Rahmen der Ausstellung statt. Das Thema der Veranstaltung ist „Konkrete Dichte – Konkrete Prozesse“. Zu Gast ist unter anderem die Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen Katrin Lompscher. Es moderiert Prof. Dr. h.c. Wilfried Wang.
Am 9.11.2017 moderiert Prof. Bernd Albers die Folgeveranstaltung „Wie könnte Berlin morgen aussehen?“. Dann ist unter anderem der Architekturkritiker Michael Mönninger zu Gast. Beginn ist ebenfalls um 19 Uhr, der Eintritt zu den Veranstaltungen ist frei.
Architektur Galerie Berlin SATELLIT
„Berlin 2050 – Konkrete Dichte“. Teil I der Ausstellungstrilogie „Berlin 2050“ mit Arbeiten von:
The University of Texas at Austin: Barbara Hoidn, Wilfried Wang
Potsdam School of Architecture: Bernd Albers, Jan Kleihues, Silvia Malcovati
Universidad de Navarra: Barbara Hoidn. Der Eintritt ist frei.
Karl-Marx-Allee 98
10243 Berlin
Öffnungszeiten: Di-Fr 14-19 Uhr, Samstag 12-18 Uhr
Titelbild: Entwurf Manuel Walter/ Potsdam School of Architecture
Der Beitrag Interview zur Ausstellung: Berlin 2050 – Konkrete Dichte erschien zuerst auf Senkrechtstarter.